Dizin. Ski. Good. ایران†دیزین

Wenn man Freunden und Bekannten davon erzählt, zum Freeriden in den Iran zu reisen, gibt es meist drei verschiedene Arten von Reaktionen: “Im Iran? Da gibt’s doch gar keinen Schnee!”, “In den Iran? Du hast doch nen Vogel, in so ein Krisengebiet?” und “Iran? Wahnsinn, ich will dort auch hin, muss wunderschön sein!”

Zu allen drei Meinungen hatten wir die Gelegenheit, uns ein eigenes Bild zu machen. Wir sind vier ambitionierte Snowboarder, die sich aufmachen, mit dem Splitboard neue Berge und neuen Schnee zu suchen und eine neue Kultur zu entdecken.

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Vier Snowboarder auf der Suche nach dem persischen Powder
Schon seit 2005 liegt die Idee in der Luft, den persischen Tiefschnee zu suchen. Seit einiger Zeit mehren sich die Reiseberichte von Bekannten und Berichte im Internet, so dass die Zeit nun reif scheint. Im November wird entschieden und Ende Februar gefahren. Die Planung im Vorhinein ist nicht ganz einfach – der Lonely  Planet ist zwar schnell besorgt und auch mögliche Unterkünfte erfragt, sobald es aber um das Thema Skifahren bzw. Tiefschnee geht, ist die Recherche mühsam. Klar, können wir auf etliche Reiseberichte zurückgreifen, Detailplanung ist damit aber nicht möglich. Außer Google Maps gibt es kaum alpines Kartenmaterial, was uns zuvor ein einheimischer Bergführer bestätigt. Wir wissen also nur: es gibt eine Handvoll Skigebiete, hohe Berge und einen Haufen unberührten Schnees. Für uns klingt es perfekt!

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Einfacher als gedacht
Schon bei der Ankunft müssen die ersten Vorurteile über Bord geworfen werden. Die Einreise dauerte 5 Minuten, wider Erwarten ohne Verhör durch die Polizei und auch den Visa-Schnickschnack im Vorhinein hätte man sich sparen und einfach ein Visa-on-Arrival beantragen können. Von der ersten Minute an auf persischem Boden sind die Menschen wahnsinnig hilfsbereit und gastfreundlich.

Aufgrund der Wetterprognose entscheiden wir uns, sofort in die Berge aufzubrechen und lassen die Wüste und Teheran hinter uns.

Bereits vom Flughafen aus sieht man bei 22°C hinter dem Dunst und Smog Teherans die Berge mit ihren kleinen weißen Häubchen aufragen. Hier schöne Lines finden? Zugeben, wir sind skeptisch.

Unmittelbar hinter der Metropole fängt der Pass in Richtung Chalus an. Wir werden sofort umrahmt von 4.000-ern, die gefühlt nur aus braunem Kies bestehen, wie in einem Sandkasten aufgehäuft. Nach den ersten Bergen sehen wir, dass nordseitig der Schnee bis ins Tal reicht. Es tauchen immer mehr Berge auf, die man eher im Berner Oberland vermutet als in 30 Minuten Fahrtzeit von einer 13 Millionen frühlingshaft warmen Metropole entfernt. Am Abend erreichen wir Dizin, das größte Skigebiet Irans. Südseitig des Gebirgskamms befinden sich die Skiorte Darbansar und Shemshak. Diese 3 Orte sind mit einer Passstraße verbunden, die nur von Süden bis zur Passhöhe befahrbar ist.

Einer unserer Fotografen hat Kontakt zu der Truppe um den Redbull Freerider Fabian Lentsch und den Snowmads, die in einem Truck von Europa bis an den persischen Golf fahren und vor ein paar Tagen die Berge um Teheran verlassen haben. “Ihr müsst euch an der Skipatrol vorbei in den Powder sneaken, wenn die euch erwischen im Backcountry ist die Lift-Karte weg!” – “Seit 8 Tagen kein Neuschnee.”

Aussagen, die unsere Skepsis wachsen lassen. Doch die Anziehung der imposanten, schneebedeckten Berge ist größer und wir stürzen uns ins persische Schneeabenteuer.

Skizirkus auf persisch
Der persische Skizirkus ist dem in den Alpen nicht unähnlich. Zwar sind die Anlagen ungleich älter, aber auch hier ist es ein Hobby der Besserverdiener und auch mit dem islamischen Dresscode nimmt man es hier nicht sonderlich ernst. Einen Unterschied zwischen Mann und Frau erkennen wir – zumindest auf der Skipiste – nicht.

Entgegen unserer Vermutungen ist Powder für die Einheimischen kein Fremdwort – alle uns sichtbaren Hänge sind vollkommen zerpflügt. Kaum auf 3.600 Metern angekommen, entdecken wir, dass der Schnee nordseitig noch immer gute Qualität hat. Die Stimmung steigt, wir werden unseren persischen Powder finden.

Wir suchen uns den entlegensten Lift, um einen Eindruck für das Gelände jenseits des Skigebiets zu bekommen. Es eröffnen sich uns schier unendliche Möglichkeiten.

Zwar macht es den Eindruck, die Perser fühlen sich im Tiefschnee genauso wohl wie wir – doch Skitouren sind eine Seltenheit. Und so sind die unberührte Hänge, nur einen kleinen Fußmarsch entfernt.

Wir sinnieren noch über Lines und Gefahren, da spricht uns ein einheimischer Skifahrer von der Seite an: “Backcountry, Backcountry? Come, come!”. Somit lernen wir Omid kennen, der uns von da an die Wege ins Gelände zeigt. Er selbst ist Mitglied der Skipatrol. Spätestens bei der Einladung zum Mittagessen mit dem Rest seiner Crew, haben sich alle Sorgen in der persichen Bergluft aufgelöst.

Die Bedingungen sind traumhaft, die Schneedecke stabil – wir können steile Couloirs und einsame Hänge fahren. Endlich haben wir die Möglichkeit die Routen für Skitouren in den nächsten Tagen zu checken und ziehen eine Line nach der anderen.

Die Touren sind anstrengend aber lohnend. Atemberaubende Ausblicke vom Damavand (5.600 Meter), der uns magisch in seinen Bann zieht, bis hin zur Wüste vor Teheran. Wir werden mit feinstem Neuschnee und Bluebirds belohnt, die Tage verfliegen nur so.

Neben den Bergen gewinnen uns vor allem die Perser für sich. Jeder scheint begeistert uns kennenzulernen. Wir treffen großartige Menschen, wie Amid, der uns im Taxi ans Kaspische Meer fährt und uns im Auto persische Tänze beibringt. Wir verbringen lustige Abende mit Omid und seinen Freunden, obwohl sich die Konversation auf “Dizin, ski, good!”, “Ok?” und “Ok!” beschränkt. Mit diesen Worten Englisch und ein paar Brocken Farsi sind wir in unserem Dorf bald bekannt wie bunte Hunde.

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Teheran: Metropole, Moloch, Schmelztiegel, Kulturschock, Verkehrschaos
Den zweiten Teil der Reise verbringen wir in Teheran: Metropole, Moloch, Schmelztiegel, Kulturschock, Verkehrschaos in einem. Zum einen nutzen wir die Nähe zu den Bergen, um von dort aus weiter den Pulverschnee zu suchen, zum anderen tauchen wir tiefer ins persische Leben ein. Der Irrgarten des Bazars zieht uns genauso magisch an, wie die Berge im Norden. Wir werden in einer Moschee freundlich zum Mittagsgebet empfangen und genießen sprachlos das Treiben. Wir essen Lammspieße bis zum Umfallen, verbringen Stunden in verqualmten Teestuben und entspannen bei Wasserpfeifen. Überall und immer kommen wir mit den Persern und jungen Leuten in Kontakt – ob am Skateplatz, beim Mittagessen oder über Couchsurfing. Alle sind wahnsinnig interessiert, gastfreundlich und offenherzig – wir fühlen uns überall willkommen.

Trotz der Parlamentswahlen, bekommen wir nur wenig von der politischen Situation im Land mit. Wir haben keine Berührungspunkte mit der Polizei oder anderen Repressionen und halten uns immer an Regeln: keine öffentlichen Gebäude fotografieren, kein Alkohol. Was wir allerdings bemerken, sind die Auswirkungen der Sanktionen: wir können nirgendwo Geld abheben, müssen alles an Geld in Bar mitbringen und z.B. die Liftanlagen und Flieger sind noch aus Schah-Zeiten. Und das sind nur die Dinge die uns selbst betreffen. Das alles scheint den Leuten dort nichts anzuhaben, sie sind stolz auf ihr Land, stolz es zu zeigen und freuen sich über jeden Besucher. Unsere Reise hat bleibenden Eindruck hinterlassen, hat Vorurteile abgebaut und uns diese besondere Kultur nahegebracht.

Die westliche Dialektik gegenüber dem einstigen Schurkenstaat ändert sich derzeit, die Sanktionen sind Großteils aufgehoben, die Industrie wittert Milliarden Deals und auch die Meinung der Medien ändert sich. Noch sind Touristen rar im Land, aber sie werden kommen, viele werden kommen, auch in die Berge.

Auch wir kommen wieder, denn: Dizin ski good, und Iran very good. Ok!

Fakten:
Flugticket: 350 € (Iranair, nonstop von Hamburg, Frankfurt und München aus) oder 600 € (Lufthansa, nonstop von Frankfurt aus)

Visum: Visum-on-Arrival ist ausreichend für 21 Tage

Sicherheit: Problemloses Reisen vor Ort möglich, gute Infrastruktur, Übergriffe auf Ausländer kaum bekannt. Der chaotische Straßenverkehr im Land ist wohl die größte Gefahr.

Sicherheit am Berg: Lawinensicherheit ist nicht existent, LVS war der Pistpatrol unbekannt und Luftrettung nicht bis kaum verfügbar.

Skigebiete: die größten sind Dizin (3.500 Meter), Darbandsar (3.150 Meter), Shemshak (3.050 Meter) – alle jeweils ca. 2 Stunden von Teheran, Tochal (3.740 Meter) mit der Gondel direkt aus Teheran erreichbar.

Preise: zwischen 20 $ und 30 $, je nach Gebiet und Wochentag.

Literatur: Lonely Planet Iran, Couchsurfing Iran, We Ride In Iran

Big thanks to Johannes Strobl for the story and Nicholas Büchi for the gifs!

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